Reisebericht aus Betini Okt./Nov. 2010


von Dagmar Nüsser, Waldorflehrerin, mit Elena Teibler, ehemalige Waldorfschülerin aus Linz (A), Pädagogikstudentin im Auslandssemester in Kathmandu/Nepal.

 

Immer wieder tauchen in meinem Leben aus dem Strom der vielen Menschen die mir begegnen, vertraute Gesichter auf, die mich begleiten, mit denen ich wachsen kann. So stand Toya Neupane, der Dorflehrer aus Betini, den ich im Jahr zuvor kennenlernte, am Flughafen in Kathmandu und holte mich ab. Wir konnten endlich reden miteinander, nach 1 1/2 Jahren e-mails und Briefen. Unser Projekt - wie sieht es für uns aus?

 

Am nächsten Morgen tauchte Elenas strahlendes Gesicht aus den vielen vielen Passanten am Busbahnhof in Kathmandu auf. Im Bus nach Betini gab es dann viel Zeit zum Reden, fünf Stunden Fahrt für gut 100 km. Wir plaudern über unsere alte Schule, wo sie Schülerin und ich Lehrerin war und unsere gemeinsamen Urlaube, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie ist so fasziniert von der Herzlichkeit und Liebe, die sie hier in Nepal von allen Menschen empfängt. Mich hat das nepalesische Gemüt auch schnell umfangen und ich fühle mich warm, voll und aufgenommen. Diese herzliche Fürsorge umgibt uns die nächsten drei Wochen.

 

Wir feiern das grösste und längste Fest des Jahres – Dashain, zu Ehren der Göttin Durga - mit allen Familienangehörigen von Toya und werden zu allen Zeremonien mitgenommen. Alle haben grosse Freude daran, uns in nepalesischen Kleidern zu sehen, mit Tika und Blumen im Haar. Wir tragen die neuen Kleider, die Toya uns geschenkt hat mit grossem Stolz und mit Freude. Elena sieht besonders schön im Sari von Durga, der Frau von Toya aus und sie wird besonders gerne herumgeführt.

An der Schule wird ein Begrüssungsfest mit allen Schülern, Lehrern und vielen Eltern für uns gefeiert. Wir dürfen neun Kerzen entzünden, werden mit vielen Blumenkränzen geschmückt und alle Schüler/innen wollen uns etwas vortanzen. So dauert das Fest 4 1/2 Stunden. Die Musikanlage wird von den Siebtklässlern betreut, sie ist sehr altersschwach und labil. Immer wieder gibt es Unterbrechungen durch den Ausfall der Anlage, durch Kabelsalat usw. Es beginnt auch noch zu regnen und der Nebel zieht vom Tal hoch und verhüllt die Besucher, was jedoch kaum jemanden stört. Am Ende der Vorführung darf ich eine kleine Ansprache halten und die Menschen hören mir aufmerksam zu, obwohl die wenigsten von Ihnen Englisch verstehen. Ich kann symbolisch fünf grosse Gutscheine für Insgesamt 4300 SFr überreichen. Das Geld stammt von verschiedenen Anlässen und Menschengruppen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich. Besondere Freude haben die Dorfbewohner an einem Foto meiner Schüler. Sie haben im Sommer in Winterthur Strassenmusik gemacht und in kurzer Zeit etwa 600 SFr gesammelt.

Alles wird von den Dorfbewohnern wohlwollend aufgenommen und ich glaube, das Geld gibt ihnen etwas Zukunftsperspektive. Dazu kommt noch das Wissen, dass da irgendwo in Europa Menschen sind, die an sie denken und mit ihnen fühlen. In vielen Gesprächen mit Toya und auch dem Schulpräsidenten beschliessen wir, das Geld für Winterpullover und Winterschuhe für alle Schüler/innen zu verwenden. Im Winter kann es dort recht kalt werden und die Schulräume sind ungeheizt. Was dann noch bleibt von dem Geld, soll in den angefangenen Neubau der Schule investiert werden.

Kurz vor Ende des Dashainfestes starten wir unsere geplante Trekkingtour nach Tatopani (=heisses Wasser) (siehe Extrabericht). Toya führt und umsorgt uns auch hier. Doch er ist nicht unser „gemieteter“ Führer, sondern unser Freund. Wir hätten ihn unterwegs auch gerne öfter eingeladen, doch er ist hier überall bekannt und redet, plaudert und scherzt mit den Menschen. So wird er überall eingeladen und braucht fast nichts zu zahlen.

 

Nach unserer Trekkingtour und zwei geruhsamen Tagen in Betini, an denen wir nochmals die Früchte und Speisen aus Durgas Küche geniessen dürfen, müssen wir uns auf den Abschied einstellen und auf die Reise nach Kathmandu. Wir haben uns in diesen letzten Tagen in die Küche gewagt und etwas mitgearbeitet. Es ist uns gelungen, Hefebrötchen und kleine Hefezöpfe auf offener Flamme zu backen. Durga war begeistert und sie sprach ihre ersten englischen Worte: „Very good“. Jeden Abend gab es dann noch Momos (gefüllte Teigtaschen), von allen zubereitet. So ein lustiges, bewegtes und köstliches Essen habe ich schon lange nicht mehr erlebt.

 

Die mitgebrachten Spielsachen für die Schulkinder brachte ich am letzten Tag zu Sabitri Neupane, der Lehrerin für die kleinen Kinder. Sie sollte lernen wie man die Springschnüre häkelt, die Feuervögel näht und die Jonglierbälle fertigstellt. Mir war es wichtig, ihnen Spielzeug zu bringen, dass sie selbst herstellen können. Für die Bauern des Dorfes gab es dann auch Saatgut und ich hoffe, die vielen Tomaten, Karotten, Kräuter und Blumen werden gut gedeihen und wachsen; vielleicht kann ich ihnen beim nächsten Besuch zeigen, wie sie ihr Saatgut selbst vermehren können.

Die Grenze, die sich so beharrlich aufgebaut hat zwischen arm und reich verwischt hier in Nepal schnell. Wer ist arm, wer ist reich? Diese Menschen sind so reich an Gefühlen, an Herzlichkeit und an Gastfreundschaft, da fühle ich mich arm und dünn dagegen. Doch Geld habe ich, zwar nicht sehr viel, doch dort bin ich reich. Geld für die Bewirtung nimmt hier niemand. Bloss nicht versuchen für diese wunderbare Zeit mit den vielen Köstlichkeiten Geld zu bezahlen. Toya und seine Familie wären zutiefst beleidigt, würde ich es versuchen. Dafür lade ich ihn ein, Europa zu besuchen und uns von seinen Ideen und Zukunftsplänen zu berichten. Eine Winterjacke die ich ihm kaufe - für seine Europareise – nimmt er dann doch noch an.

 

Toya will besonders den armen Menschen in seinem Dorf helfen. Für viele ist der Segen des Fortschritts ein Rückschritt, wie er sagt. Die neue Strasse hat ihnen die Verdienstmöglichkeit als Träger genommen. Der Stromanschluss muss bezahlt werden und das Kabelfernsehen frisst ebenfalls nur Geld und verlangt auch noch nach einem Fernsehapparat. Toya sieht dies alles und er möchte u.a. eine Trekkingorganisation gründen, um den Bauern die Möglichkeit zu geben, unter menschenwürdigen Bedingungen, wieder als Träger oder Führer zu arbeiten.

 

Dieser Sommer brachte, im Gegensatz zu den vorhergehenden, viel Regen und alle Felder sind voller Reis und Hirse. Die Menschen haben zur Zeit genug zu essen und sind erleichtert und froh. Dennoch können viele Kinder nicht in die Schule gehen, weil sie zu Hause arbeiten müssen und viele sind sehr sehr arm. Unsere Idee, den besonders armen Kindern zu helfen, ist noch nicht ausgereift und wird nun in Betini weiter besprochen.